Okuli

Die Geschichte, die wir in unserem heutigen Predigttext gehört haben, nimmt uns mit in die Vergangenheit, erzählt vom Kampf der Propheten um den Glauben, aber gleichzeitig spricht sie mitten hinein in unsere Zeit.

Israel erlebt zu Elias Zeit eine gewaltige Auseinandersetzung. Ahab, der König, hat Isebel, die Tochter des Königs Etbaal von Sidon, geheiratet. Am Namen des Königs Etbaal kann man schon ablesen, dass dieser einen anderen Gott verehrt als Jahwe. Isebel bringt die Verehrung Baals nach Israel und fördert die Baals-Priester.

Elia kämpfte leidenschaftlich darum, dass die Menschen Gott treu bleiben sollten. Mit einem Feuereifer, der bisweilen verstört, so richtete er ein Blutbad an, bei dem 400 Baalspriester getötet wurden. Vorher hatte er die Baalspriester aufgefordert, die Existenz ihres Gottes zu beweisen, indem sie von ihm ein Opferfeuer entzünden ließen. Was Baal nicht kann, tut Gott und lässt Feuer vom Himmel regnen.

Elia floh vor Isebels Rache und unser Predigttext schildert ihn uns als ausgebrannt und erschöpft. Genug, sagt Elia, und bringt seinen Todeswunsch zum Ausdruck und womöglich auch sein Entsetzen über sich selbst und das, wozu er fähig ist. „Ich bin nicht besser als meine Väter“, erkennt er. Und wahrscheinlich hat er erkannt, dass selbst nach seinem Sieg über die Baalspriester die Auseinandersetzung nicht vorbei ist. Elia muss immer wieder neu anfangen, immer noch den wankenden Glauben der Menschen stärken und stützen.

Genug. Mit diesem Wort setzt die Erzählung der Bibel einen Gegenpunkt zu unserer Lebensweise, die von stetem Wachstum und einem Immer-Mehr geprägt ist. Aber wir erkennen wie Elia: Jede Generation muss erneut für Gerechtigkeit, Frieden und Wahrheit eintreten. Pandemie die Auswirkungen des Klimawandels legen schonungslos offen, dass all unsere Systeme, ob wirtschaftliche, soziale, medizinische oder die kulturellen bis an die Belastungsgrenze oder gar darüber hinaus beansprucht sind. Wir erleben den Zusammenbruch unserer Lebensweise. Wir erleben, wie die Art zu leben, die wir pflegen, nicht mehr trägt und keine Zukunft hat.

Alle auf Effizienz und Beschleunigung, Sparen und Horten getrimmten Systeme und der Egoismus der neoliberalen Gesellschaften sind gescheitert. Für viele ist nach den Einschränkungen der vergangenen zweieinhalb Jahre, nach persönlichen Schicksalsschlägen wie dem Tod geliebter Menschen und zuletzt dem Angriff auf die Ukraine die Grenze der Belastbarkeit erreicht. Genug. So geht es nicht weiter, denn es zerreißt und zerstört uns wie Erdbeben, Feuer oder ein Sturm. Ich glaube, die unkontrollierten, ängstlichen Hamsterkäufe – jetzt fehlen Mehl und Pflanzenöl in den Regalen - sind ein Anzeichen für eine tiefe Überforderung der Menschen. Ich bin, was ich habe. Aber ich habe noch nicht genug.

Wir erkennen, dass wir schon lange in der Wüste stehen und sprechen wie Elia: „Wir sind nicht besser als unsere Väter!“ Als Elia in dieser Wüste steht, sein Leben erkennt und sterben möchte, kommt ein Engel und ruft ihn: Steh auf! Der Engel kommt noch ein zweites Mal und nötigt Elia, aufzustehen, zu essen und zu trinken. Elias Bitte um den Tod beantwortet Gott durch die Versorgung mit Essen und Trinken und verweist Elia damit entschieden zurück ans Leben: Es ist noch nicht genug. Gott hat noch einen Auftrag und einen Weg, er hat eine Zukunft für Elia.

In dem Moment, als Elias Leben zerbrochen ist und Elia selbst am Boden liegt, als er, der mit Feuereifer für den Glauben kämpfte, ausgebrannt ist und sein Lebensfunke fast erloschen ist, kommt der Engel und stärkt ihn, lässt ihn aufstehen. Das ist Gottes Zusage: Auch wenn alles zerfällt, wir unsere gewohnten Sicherheiten verlieren, unser Leben einstürzt – auch dann ist Gott unser Gott. Auch dann lässt er uns nicht los und überlässt uns dem Tod.

Gestärkt macht sich Elia auf den Weg und begegnet am Gottesberg Horeb Gott, wo Gott schon einmal den Bund mit seinem Volk geschlossen hat. Elia ist in einer Höhle, ähnlich wie Mose in einer Felsspalte Gott begegnet. Die Bibel erzählt von starkem Wind, der Berge zerreißt und Felsen zerbrich, von Erdbeben und Feuer. Und nach dem Feuer kam ein stilles, sanftes Sausen. Erst, als all die Zerstörung und die Bedrohung vorüber ist, kommt Gott – nicht in den mächtigen Naturgewalten, sondern im sanften Säuseln des Windes. Elia spürt, dass Gott da ist.

Ist das eine Mahnung an uns Menschen? Dass auch wir Gott nicht in Gewalt, Machtbeweisen und Zerstörung suchen, sondern im Stillen, Sanften, im Zugewandten? Denn so hat sich Gott in Jesus gezeigt. Nicht zerstörerisch und überwältigend, übermächtig mit Feuer vom Himmel seine Gegner bezwingend, sondern zugewandt, freundlich, leidenschaftlich für Gott eintretend, nicht mit Schwert und Gewalt, sondern mit Leidenschaft, die bereit ist, sich auch Leiden schaffen zu lassen.

Jesus lässt sich in den Tod führen und Gott bestätigt ihn, indem er ihn vom Tod auferweckt, ihn auferstehen, aufstehen lässt aus dem Grab, ihn dem Tod entreißt und ihm Leben zurückgibt, wie er es in der Wüste bei Elia getan hat. Und wie Elia in der Wüste vom Brot gestärkt wird, so stärkt uns Jesus, der für uns selbst zum Brot des Lebens geworden ist.

Gott gibt uns, was wir zum Leben brauchen. Wir haben genug, wir bekommen, was wir brauchen. Genug, um unseren Weg gehen zu können. Genug Kraft, genug Zuversicht. Wenn wir genug haben und sagen: Ich kann nicht mehr. Es ist alles sinnlos, ermutigt uns Gott aufzustehen und einzustehen für den Frieden, für Gerechtigkeit, für eine sozialere Gesellschaft, für die Eindämmung des Klimawandels.

Wenn wir gestärkt aus der Wüste kommen, wenn wir irgendwann die Krise überstanden haben, die Pandemie und Krieg bedeuten, haben wir in diesen widrigen Zeiten vielleicht neu gelernt, füreinander da zu sein und miteinander das Leben zu gestalten. Vielleicht haben wir auch neu gelernt, uns abzukehren von Immer-Mehr und haben erkannt, wann wir genug haben: Genug, um gut leben zu können, aber nicht genug, um anderen Menschen oder der Schöpfung zu schaden.

Ich glaube, dass wir das lernen müssen, sonst wird unser Leben von immer mehr Kriegen und Konflikten, immer mehr Ungleichheit und Gewalt zerrissen. Dann kommt immer mehr Zerstörung. Der Weg, den Gott uns weist, der Weg, den er uns heute am Sonntag Okuli in seinem Sohn am Kreuz vor Augen stellt, ist ein anderer. Paulus schreibt in seinem zweiten Brief an die Korinther in Kapitel 12, Vers 9: Und er hat zu mir gesagt: Lass dir an meiner Gnade genügen; denn meine Kraft vollendet sich in der Schwachheit. Darum will ich mich am allerliebsten rühmen meiner Schwachheit, auf dass die Kraft Christi bei mir wohne.

An Elia in der Wüste erkennen wir, wie stark sich Gottes Kraft an ihm zeigt. Den ausgebrannten, dessen Lebensfunke am Erlöschen ist, entreißt Gott dem Tod und stärkt ihn und gibt ihn dem Leben zurück. Auch uns hat Gott dem Tod entrissen, damit unser Leben kein ausgedehntes Sterben sei, sondern dass wir dem Leben dienen und es fördern.

Amen

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